Programm - ÖffiCON* - Nahverkehr neu denken!

Hier gibt es das Programm als PDF zum Download.

Themenstränge

Neue Finanzierungswege

Die von der Bundesregierung 2018 angestoßene Debatte um kostenlosen Nahverkehr in 5 Modellstädten hat offen gelegt, dass die Kapazitäten in den Nahverkehrsnetzen vielerorts ausgeschöpft sind. Es gäbe Schwierigkeiten, so viele neue Fahrgäste aufzunehmen, wie sie für eine umfassende Verkehrswende notwendig sind. Zu lange wurden in Deutschland Schienenstrecken stillgelegt, Personal abgebaut, die Infrastruktur vernachlässigt und Investitionen hinausgezögert. Das Problem betrifft auch andere Länder, in denen man lange den Traum von der motorisierten, individuellen Mobilität geträumt hat. Dieser Traum ist ausgeträumt. Jetzt geht es darum, den Nahverkehr fit für ein nachhaltiges Mobilitätszeitalter zu machen. Die Debatte um neue Finanzierungsmodelle für den Nahverkehr, z.B. über eine Steuer- oder Umlagefinanzierung, hat Fahrt aufgenommen. Die Coronakrise hat die Schwächen des durch Fahrscheine finanzierten Modells aufgezeigt. Was sind nun die Alternativen? Wie können diese zu einer sicheren Finanzierung von Ausbau, Betrieb und Unterhalt des Nahverkehrs beitragen? Welchen Beitrag können sie dazu leisten, Motor der Verkehrswende zu werden? Wie erreichen wir dieses Ziel? Welche flankierenden Maßnahmen braucht es?

Verkehrspolitik und Verwirklichung

Dass wir eine Verkehrswende brauchen, ist zumindest den Bekenntnissen der Politik nach wenig umstritten. Wenn es jedoch darum geht, was Verkehrswende bedeutet und wie diese umzusetzen ist, ist diese Einigkeit dahin. Entscheidungsprozesse ziehen sich oft lange hin, doch den Entscheidungen mangelt es an Konsequenz und ganzheitlichen Ansätzen. Es ist leichter, Projekte auf den Weg zu bringen, die den Nahverkehr und den Umweltverbund attraktiver machen, als den unpopulären, aber notwendigen Weg zu gehen und Mittel aus dem Straßenbau abzuziehen und die Privilegien des Autoverkehrs einzuschränken. Notwendig wären autoarme und autofreie Zonen in den Städten, eine Reduktion und angemessene Bepreisung des Parkraums. Dazu kommen noch Planungsprozesse, die sich nicht nur aus politischen Gründen in die Länge ziehen. Wie können wir erreichen, dass politische Entscheidungsprozesse und die planerische Umsetzung schneller und konsequenter voran kommen? Welche Strategien können dazu beitragen, dass die Verkehrswende umgesetzt wird? Wo gibt es erfolgreiche Beispiele? Wie sehen lebendige, autofreie (Innen-)Städte aus? Wie kann klimafreundliche Mobilität im ländlichen Raum bequem und erfolgreich sein? Wie können Bürger*innen, Wirtschaft, Politik und Verwaltung besser zusammen wirken? Welche Rolle können Initiativen und Verbände in diesem Prozessen spielen?

Umwelteffekte

Der Verkehr hat weitreichende ökologische Auswirkungen. Insbesondere die Klimakatastrophe, als sehr ernstzunehmende Bedrohung für unsere Lebensgrundlagen, macht die Verkehrswende unausweichlich. Der Verkehr in Deutschland ist für 20% der CO2-Emissionen verantwortlich, EU-weit für fast 30%. Seit 1990 sind diese nicht gesunken, teilweise wieder angestiegen. Für 94 Prozent der Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors ist der motorisierte Straßenverkehr verantwortlich. Wenn wir die Emission von Treibhausgasen und Luftschadstoffen im Verkehrsbereich senken wollen, müssen Autofahrer*innen auf den Umweltverbund aus Nahverkehr, Rad- und Fußverkehr umsteigen. Wie können wir den Nahverkehr so gestalten, dass er seine Umweltvorteile am besten ausspielt und im Umweltverbund aus Rad und Fuß am besten zusammenwirkt? Welche Erfahrungen gibt es bereits? Welche Rolle spielen neue Antriebstechnologien bei Bussen? Wie können wir in diesem Rahmen Platz umverteilen und lebenswertere Städte gestalten? Welche weiteren Umwelteffekte sind bei der Verkehrswende zu berücksichtigen?

Diversität und Beteiligung

Mobil sein bedeutet mehr als nur von A nach B zu kommen. Einen wesentlichen Teil unseres Lebens sind wir unterwegs. Die Erfahrungen, die Menschen dabei machen können, sind sehr unterschiedlich und auch Mobilitätspotentiale sind sehr ungleich verteilt. Abhängig von der Wahl des Verkehrsmittels, aber auch von Alter, Herkunft, Geschlecht, körperlichen Mobilitätseinschränkungen oder finanziellen Möglichkeiten, erleben wir Mobilität auf sehr unterschiedlich Art und Weise. Das Automobil ermöglicht eine privilegierte Art der Fortbewegung auf Kosten anderer Verkehrsteilnehmender, die dadurch in ihrer Mobilität eingeschränkt und gefährdet werden. Autos dominieren im städtischen Raum und bekommen in vielen Städten kostenlosen oder sehr günstigen Parkraum zur Verfügung gestellt. Der Nahverkehr, Radfahrer*innen und Fußgänger*innen müssen sich den Restplatz teilen, der vielerorts nicht ausreichend vor dem Auto geschützt wird. Davon besonders betroffen sind Kinder, Frauen, Familien, Menschen mit Behinderungen oder arme Menschen, deren Mobilität eingeschränkt ist und damit ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erschwert ist. Es gibt jedoch auch viele Orte, an denen Maßnahmen ergriffen werden, um wieder mehr Platz für alle zu schaffen und Barrieren abzubauen. Die Corona-Pandemie hat durch Corona-Bike-Lines diesen Prozess noch einmal beschleunigt. Wie können wir an diesem Transformationsprozess dran bleiben? Wie können die bisher benachteiligten Gruppen dabei besser beteiligt werden, damit alle Bedürfnisse und Anliegen von vorneherein mitgedacht werden? Wo liegen die besonderen Potentiale darin, dies im Nahverkehr zu realisieren, der vielerorts beispielsweise mehrheitlich von Männern geplant, aber überwiegend von Frauen genutzt wird?

Kultur und Philosophie und Kunst

Mobilität, wie wir sie heute kennen, hat sich über Jahrzehnte am Auto und seinen Anforderungen orientiert. Auch wenn das Scheitern motorisierter und individueller Mobilität aufgrund der Begrenztheit ökologischer Ressourcen und des physischen Raumes immer deutlicher wird, hat sich das Auto als Ausdruck von Freiheit, Individualität, Fortschritt und Status tief in den Vorstellungen der Menschheit verankert. Es ist Teil unseres Alltags und unserer Kultur, für viele Menschen ist eine Welt ohne Auto kaum denkbar. Auch wenn es eine zunehmende Zahl an positiven Beispielen für erfolgreiche Transformationsprozesse gibt, ist der Weg dorthin immer wieder von großen Herausforderungen und Auseinandersetzungen geprägt. Wie können wir einen Kulturwandel anstoßen, um die Verkehrswende in die Köpfe und Herzen der Menschen zu bringen? Wie müssen wir vorgehen, wenn die Widerstände und Vorbehalte gegen die Verkehrswende gar nicht rational sind? Was kann die Kunst, philosophische und kulturelle Ansätze dazu beitragen? Wie können wir den Nahverkehr zum Teil einer lebendigen Mobilitätskultur machen? Welche Rolle kann dabei die Festlegung auf einen guten, ausgebauten Nahverkehr als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge bilden? Inwieweit können wir dabei von der Radkultur lernen, die hier an vielen Orten schon offensichtlich Fuß gefasst hat?